Martin Kaloudis: „Wir müssen jetzt handeln.“ © Messe Berlin GmbH© Messe Berlin GmbH

„Besser als nationale Autarkie ist globale digitale Souveränität“

4 min
12. November 2020

Die Netflix-Dokumentation „The Social Dilemma“ thematisiert, wie große Digital-Konzerne Gesellschaften abhängig machen. Wie real die Bedrohung einer Abhängigkeit von digitalen Technologien wirklich ist, weiß BWI-CEO Martin Kaloudis. In seiner Keynote auf der diesjährigen Smart Country Convention fordert er, jetzt zu handeln, damit Deutschland digital souverän bleibt beziehungsweise wird.

„Digitale Souveränität: Macher-Spirit statt Griesgrämerei“: Schon mit dem Titel seines Impulsvortrags auf der erstmals virtuellen Smart Country Convention fordert Martin Kaloudis, Chief Executive Officer der BWI GmbH: Wir müssen jetzt handeln. Denn Fakt sei: „Wir sind heute schon abhängig. Von den 20 größten Tech-Giganten sind genau null europäisch.“ Vor allem die USA und China gelten in puncto Schlüsseltechnologien wie Blockchain, künstliche Intelligenz und Co. als Vorreiter. Wenn man eines in diesem Jahr gelernt habe, dann dass vieles nicht linear sondern exponentiell verläuft. Das gelte nicht nur für Pandemien, sondern auch in der IT und Technologieentwicklung. „Um bei diesem Tempo mithalten zu können, müssten Staat und Verwaltung heute handeln“, macht Kaloudis deutlich.
 

In erster Linie sei es wichtig, „dass wir wollen“, so Kaloudis. Man dürfe sich nicht durch die Trägheit oder Komplexität behördlicher Strukturen aufhalten lassen. Gute Beispiele im Kontext der öffentlichen Verwaltung sind für den BWI-CIO Frauke Janßen, Beauftrage für Digitalisierung des Deutschen Städtetags, Matthias Kammer, Geschäftsführer govdigital, oder Markus Richter, Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik. „Wir sollten digitale Souveränität nicht erst dann machen, wenn uns globale und geopolitische Zwänge dazu keine andere Wahl mehr lassen. Sondern wir müssen es genau jetzt angehen. Und wenn ich sage jetzt, dann meine ich genau heute, wenn wir noch weiter vorne mitspielen wollen“, betont Martin Kaloudis.

„Wenn wir weiter vorne mitspielen wollen, müssen wir jetzt handeln.“

Martin Kaloudis, Chief Executive Officer BWI GmbH

Wichtige Handlungsfelder

Doch was ist digitale Souveränität? Für ihn ist es die Bewertung eines Gesamtsystems, bestehend aus verschiedene Soft- und Hardware-Komponenten. Digitale Souveränität sei - vor allem für die Bundeswehr – mehr als ein gesamtheitliches, systemisches Ziel. Sie sei vor allem ein Mittel zum Zweck: „Sie zahlt auf die ganzheitliche Souveränität der Bundeswehr und damit von Deutschland als Ganzem ein.“ Kaloudis zufolge sei sie notwendig, damit die BWI als IT-Systemhaus und Digitalisierungspartner ihre Leistungen erbringen und die Streitkräfte ihren Auftrag erfüllen können. Um dieses Ziel zu erreichen nennt er fünf, durch das Bundesverteidigungsministerium definierte Handlungsfelder: Zum einen müsse die Bundeswehr ihre Innovationsfähigkeit erhöhen. Außerdem müsse die Nutzung von vertrauenswürdiger IT in sicherheitsrelevanten Anwendungen gewährleistet sein und es gelte, nationale und europäische Schlüsseltechnologien aufzubauen, um digitale Kompetenzen und die Kernführungsfähigkeit zu erhalten.
 

Digitale Souveränität sei aber nicht mit Autarkie gleichzusetzen. In Schlüsseltechnologien weitgehende Autonomie anzustreben, hält Kaloudis für sinnvoll. „Sämtliche Lösungen aber national autark zu bauen, ist unrealistisch. Besser als nationale Autarkie ist eine globale, mindestens eine europäische digitale Souveränität.“ Besonders wichtig sei Wahlfreiheit, das heißt, aussuchen zu können, welche Dienste man mit eigenen Mitteln erbringt, und für welche man externe Komponenten hinzukaufen will. Um das bewerten zu können, sei die entsprechende Befähigung, Skills und Know-how notwendig.

„Digitale Souveränität ist notwendig, damit die Bundeswehr ihren Auftrag erfüllen kann.“

Martin Kaloudis, Chief Executive Officer BWI GmbH

Handlungsfreiheit erhalten und Risiken steuern

Um das zu verdeutlichen, zieht Kaloudis den Vergleich zur Energiewirtschaft: So wie mit der Versorgungssicherheit bei Rohstoffen müsse es sich auch mit der digitalen Souveränität verhalten. Diversifizieren ist für ihn der Schlüssel: „In Deutschland haben wir nur sehr wenig eigenes Öl und Gas. Also beziehen wir die Rohstoffe aus anderen Ländern, schließen Partnerschaften, legen Reserven an, sichern Versorgungswege und investieren in heimische erneuerbare Energien. Damit werden wir unabhängiger.“ Damit sei Deutschland zwar nicht frei von Risiken, aber diese ließen sich besser einschätzen und beherrschen.
 

Zusammengefasst: „Handlungsfreiheit erhalten und sauberes Risikomanagement betreiben.“ Und natürlich arbeite er gerne mit Partnern zusammen – egal woher sie kommen. Wichtig sei jedoch, dass Werte, Normen und die ethischen Grundsätze Europas eingehalten werden. „Aber wir brauchen auch eine eigene digitale europäische Industrie“, betont Kaloudis. Mit GaiaX, den Vorstößen der Europäischen Kommission zu Quanten-Computing, der European Processor Initiative oder Open-Source-Ansätzen, die auch die BWI verfolgt, gehe Europa bereits den richtigen Weg. „Das sind sozusagen unsere erneuerbaren Energien, unser Nordsee-Öl. Das ist unsere Antwort auf den Erhalt von Schlüsseltechnologien.“
 

Wie die BWI zu digitaler Souveränität beiträgt

Dass es überhaupt etwas wie die BWI als IT-Systemhaus und Digitalisierungspartner der Bundeswehr gibt, trägt für Martin Kaloudis bereits erheblich zur digitalen Souveränität in Deutschland bei. Das Unternehmen verwaltet die gesamte IT der Streitkräfte selbst und besitzt eine hohe Eigenfertigungstiefe. Die BWI kann also viele Leistungen selbst entwickeln – Tendenz steigend. Dennoch würden Kooperationen mit Partnern Sinn machen. Es werde aber darauf geachtet, sich nicht von Lieferanten abhängig zu machen. Wahlfreiheit stünde an oberster Stelle.
 

Zudem werde das IT-Systemhaus Infrastrukturen stärker modularisieren, um Schnittstellen und Interoperabilität beherrschbarer zu machen. Anforderungen, die besonders wichtig für die Bundeswehr sind, weil die immer mehr und schneller mit Partnern kooperationsfähig sein muss. „Wir wägen Chancen und Risiken jeden Tag auf das neue ab und entscheiden wie und in welchem Angemessenheitsgrad wir digital souverän sein wollen“, erklärt Kaloudis. Trotz allem müsse klar sein, dass es so etwas wie eine hundertprozentige digitale Souveränität nicht gibt. „An diese Tatsache müssen wir die eigene Vorgehensweise immer wieder anpassen“, unterstreicht er.

Als Deutschland im Frühjahr dieses Jahres erstmals in einen Lockdown ging, bestand auch in der Bundeswehr ein erhöhter Bedarf nach mobilen Kommunikationslösungen. Sie konnte dafür unter anderem auf den BwMessenger zurückgreifen, den die BWI auf Basis des Open-Source-Standards „Matrix“ selbst entwickelt hat und nun für die Bundeswehr betreibt. „Das ist keine Raketenwissenschaft“, so Kaloudis. Mit der bewussten Entscheidung aber für ein eigenes, skalierbares System und gegen kommerzielle Produkte sei die Bundeswehr ein kleines Stückchen mehr digital souverän geworden.
 

Ob in der Bundeswehr, in Initiativen wie Tech4Germany, im kommunalen Bereich oder in den Ministerien oder Behörden: An vielen Stellen in Deutschland würden Menschen arbeiten, die mit ihrer IT-Expertise in der Industrie mehr Geld verdienen könnten. Aber sie möchten etwas für ihr Land tun, etwas zurückgeben, Sinn stiften, für die digitale Souveräntät in Deutschland sorgen. Genau das ist für Martin Kaloudis der Spirit, den es braucht: „Wir können viel in Deutschland. Und was wir können, sollten wir auch tun. Nicht erst, wenn wir es müssen, sondern weil wir es wollen.“
 

„Wir wägen Chancen und Risiken jeden Tag auf das Neue ab und entscheiden wie und in welchem Grad wir digital souverän sein wollen.“

Martin Kaloudis, Chief Executive Officer BWI GmbH

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