
„Überall muss Europa wieder Souveränität entwickeln.“ Mit diesen Worten setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel 2019 die digitale Souveränität als wichtiges politisches Ziel auf die Agenda der Bundesregierung. Gemeint sind Freiheit und Selbstbestimmung in der digitalen Welt – vom Staat bis zum Einzelnen. So vielfältig die Perspektiven auf digitale Souveränität sind, so vielfältig ihre Definitionen und Ansätze, sie zu erreichen.
Seit einigen Jahren taucht in Strategiepapieren der Bundesregierung immer wieder die Forderung nach digitaler Souveränität auf. Anfang des Jahres erst veröffentlichte der IT-Planungsrat ein Eckpunktepapier zur „Stärkung der Digitalen Souveränität der Öffentlichen Verwaltung“. Darin wird sie als Fähigkeiten und Möglichkeiten von Individuen und Institutionen definiert, „ihre Rolle in der digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher ausüben zu können.“ Auch in dem im Juli von Markus Richter, Bundesbeauftragter für Informationstechnik, veröffentlichten 9-Punkte-Plan für ein digitales Deutschland bildet sie einen Kernpunkt.
Ihnen gemein ist die Forderungen nach Wahlfreiheit, Handlungsfähigkeit, Datensouveränität, Cybersicherheit und Beherrschung digitaler Kerntechnologien. Ein Staat soll seine hoheitlichen Aufgaben auch in Zeiten zunehmender Digitalisierung erfüllen können. Dabei sind Abhängigkeiten unvermeidbar. Aber sie müssen steuerbar sein, sodass damit verbundene Risiken kontrollierbar sind. Bei digitaler Souveränität geht es gleichermaßen um die Verfügbarkeit von Alternativen sowie die Fähigkeit und Möglichkeit, bewusst zwischen ihnen wählen zu können. Etwa durch den Einsatz von Open-Source-Technologien als Alternative zu kommerziellen Produkten – eines der sechs Prinzipien für die Digitalisierung der Bundesverwaltung. Das geht aus dem aktuellen Beschluss des IT-Planungsrates hervor. In einer Sondersitzung am 18. September hatte das Gremium über die Investition in Höhe von drei Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket in die Digitalisierung der deutschen Verwaltung entschieden.
Daneben müssen digital souveräne Länder eigene Kernkompetenzen erschließen, um Informationssysteme zu schützen. Und sie müssen sich die Fähigkeit bewahren, neue Technologien beurteilen zu können, wie zum Beispiel künstliche Intelligenz oder Cloud-Computing.
Von Kernkompetenzen und Souveränität
Um Schlüsselindustrien und kritische Infrastrukturen in Europa weniger abhängig von Zulieferern aus China, Taiwan, Südkorea, Japan und den USA zu machen, sollen in der Europäischen Union (EU) etwa Fähigkeiten zur Prozessor- beziehungsweise Halbleiterentwicklung aufgebaut werden. So fördert die EU im Rahmen der European Processor Initiative (EPI) Entwicklung und Herstellung leistungsfähiger Mikroprozessoren und Rechenbeschleuniger. Jüngst hat Apple beispielsweise mit dem A14 Bionic den ersten 5-Nanometer-Chip verbaut, während es in der EU keine Fertigung von Prozessoren mit Strukturbreiten von weniger als 14 Nanometer gibt.
Auch in den Bereichen des Hochleistungsrechnens und der Quanteninformatik wolle Europa führend werden. Das teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche mit. Im Vorschlag der Kommission nehmen Supercomputer eine Schlüsselrolle ein, um die digitale Souveränität Europas zu stärken. Davon sollen insbesondere die Bereiche der Massendatenanalyse, künstlichen Intelligenz, Cloud-Technik und Cybersicherheit profitieren. Insgesamt sind Investitionen in Höhe von acht Milliarden Euro vorgesehen.
Mehr eigene Technologie: Diesen Ansatz verfolgt auch das europäische Programm Gaia-X mit dem Ziel, Datensouveränität – als wichtigen Bestandteil der digitalen Souveränität – auf EU-Ebene sicherzustellen. Hier entwickeln Deutschland und Frankreich gemeinsam mit anderen europäischen Partnern eine vernetzte Dateninfrastruktur auf Basis von Open-Source-Anwendungen und offenen Standards. Die europäische Daten-Cloud soll es Institutionen und Privatpersonen ermöglichen, sensible Informationen auszutauschen, ohne dabei auf amerikanische oder chinesische Anbieter angewiesen zu sein. Am 17. September haben die 22 Gründungsmitglieder die Non-Profit-Organisation Gaia-X AISBL gegründet, die das Projekt verwirklichen soll.
Doch es geht nicht nur um technologische Souveränität, sondern auch um eine fachliche. Digitale Unabhängigkeit bedeutet auch, dass Menschen selbstbestimmt mit IT-Lösungen arbeiten und sie auch gestalten können. Bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) soll das durch Low-Code-Plattformen beziehungsweise modellbasierten Entwicklung möglich werden. Ein Beispiel ist ELSTER, die elektronischen Dienste der Steuerverwaltung, die vom Bayerischen Landesamt für Steuern betrieben werden. Von den rund 18 Millionen Zeilen Programmcode stammen nur knapp über eine Million Zeilen von Softwareentwicklern.
„Die Gründung der GAIA-X-Organisation ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer europäischen Cloud- und Dateninfrastruktur.“
Achim Berg, Präsident des Bundesverbands Bitkom e. V.Die Chancen in einer globalisierten Welt
Im Kern bezeichnet digitale Souveränität die Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Während ein digital autarker Staat all seine IT-Ressourcen und -Produkte selbst herstellen würde, gehen digital souveräne Länder durchaus Abhängigkeiten mit anderen Staaten ein – unter der Voraussetzung, dass die Zuverlässigkeit von Lieferketten und die Sicherheit von IT-Services gewährleistet sind. Für das Fraunhofer Kompetenzzentrums Öffentliche IT ist digitale Souveränität kein absoluter Zustand, „sondern eine facettenreiche strategische Autonomie, die durch den bewussten Umgang mit und das gezielte Steuern von gegenseitigen Abhängigkeiten in der Digitalisierung hergestellt wird.“ Staatliche Aufgabe sei es, diese Abhängigkeiten zu identifizieren und bewusst mit Ihnen umzugehen.
Digitale Souveränität ist die Möglichkeit und Fähigkeit zu entscheiden, eigene Produkte zu entwickeln oder diese von anderen zu nutzen. „Abhängigkeiten können sich aus politisch-strategischen Gründen oder durch Änderungen in Exportregulationen schnell negativ äußern“, argumentiert Wilfried Karl, Präsident der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, auf einer Online-Veranstaltung des „Digitalen Staat“ vergangene Woche. Gleichzeitig betont er, „dass Deutschland auch in Zukunft im Sicherheitsbereich Produkte aus dem Nicht-EU-Ausland beziehen muss und wir dann in der Lage sein müssen, diese Produkte zu prüfen.“ Das Dilemma, entweder eigene Produkte herzustellen oder auf Dienstleistungen anderer zu vertrauen, sieht man besonders gut an der aktuellen Debatte um 5G-Netze in Deutschland und Europa. Auch wenn Anbieter wie Huawei im internationalen Vergleich als Provider gut abschneiden, fürchten sich Länder vor Spionage und Attacken auf kritische Infrastrukturen.
Obwohl es solche Abhängigkeiten vorher schon gab, wird die Debatte um digitale Souveränität gerade jetzt verstärkt geführt. Warum? Der größte Treiber sind die quasi automatisch zunehmenden technologischen Abhängigkeiten im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung – und damit auch Risiken. Hinzu kommt, dass die USA und China immer stärker um die Vormachtstellung im Technologiebereich kämpfen. Wie die Debatte um 5G zeigt, sinkt das Vertrauen in die internationale Zusammenarbeit im Cyber-Bereich. Staaten behandeln ihr Technologie-Wissen als Schatz, den es zu schützen gilt. Infolgedessen werden Rufe lauter, dass auch Deutschland seine IT-Kompetenzen und Kapazitäten ausbauen muss, um in diesem protektionistischen Umfeld seinen digitalen Handlungsfreiraum zu erhalten.
Digitale Souveränität der Bundeswehr
Für die deutschen Streitkräfte geht es bei digitaler Souveränität vor allem um die erforderlichen Kontroll- und Handlungsmöglichkeiten im Cyber- und Informationsraum, um ihren verfassungsgemäßen Auftrag erfüllen zu können – selbstbestimmt und frei von ungewollter Einflussnahme Dritter. Die Bundeswehr leitet daraus fünf Handlungslinien ab: vertrauenswürdige IT und sicherheitsrelevante Anwendungen nutzen, nationale Schlüsseltechnologien aufbauen und erhalten, Innovationsfähigkeit steigern, digitale Kompetenzen ausprägen sowie die Kernführungsfähigkeit der Streitkräfte erhalten. Dazu gehören etwa auch Neuentwicklungen unter eigener Kontrolle, wie beispielsweise die private Cloud oder einen sicheren Messenger auf Basis der Open-Source-Lösung „Matrix“. Zugleich muss die Bundeswehr der Forderung nach Interoperabilität nachkommen, um innerhalb der NATO beziehungsweise in multinationalen Einsätzen effizient mit anderen Streitkräften kooperieren zu können. Um das zu gewährleisten, sind oftmals etablierte Standards erste Wahl.
An ihrer Seite steht die BWI, ihr IT-Systemhaus und Digitalisierungspartner. Mit der BWI hat die Bundeswehr Know-how bei einem direkten Partner gebündelt, der dazu beiträgt, die digitale Souveränität der Streitkräfte im Sinne ihrer Anforderungen sicherzustellen und zu stärken – vom Betrieb bis zur Innovation.
„Wir sind gefordert, die Chancen und Potenziale der Digitalisierung zu nutzen und dabei einen klaren Blick auf die Gefährdungen und Risiken zu behalten.“
Generalleutnant Michael Vetter, Chief Information Officer und Abteilungsleiter Cyber- und Informationstechnik im Bundesministerium der VerteidigungDas könnte Sie auch interessieren:

