Wie digitale Innovationen von Augmented Reality bis künstliche Intelligenz den zivilen und militärischen Bereich stärken können, war Thema der 35. AFCEA Fachausstellung am 11. und 12. Mai in Bonn. Die BWI GmbH war als Aussteller dabei. Außerdem veranstaltete sie am Vortag eine hauseigene Innovations-Leistungsshow: Bei der BWI innoXperience mit Innovation Night stellte das IT-Systemhaus Experimente vor und lud Angehörige der Bundeswehr zum gemeinsamen Austausch und Dialog ein.
Ein Leben ohne Spracherkennung, Kamerafilter und Autokorrektur können sich die wenigsten heute vorstellen. Deshalb stand die 35. AFCEA Fachausstellung ganz unter dem Motto „(Künstliche) Intelligenz & Innovation – Chance für Mensch und Technik“. Rund 200 Aussteller stellten im World Conference Center ihre digitalen Projekte vor. Die Besucher*innen konnten spannende Experimente und Ideen rund um Data Analytics und Machine Learning erleben und entdecken. Die BWI, das IT-Systemhaus der Bundeswehr, zeigte anhand von drei Showcases Beispiele, wie digitale Innovationen die Arbeit der Bundeswehr unterstützen können. Zusätzlich konnten die Gäste auf einer erweiterten Standfläche weitere Innovationsbeispiele und Digitalisierungsinitiativen aus dem Hause der BWI kennenlernen und ausprobieren.
KI nutzen, um Leben zu retten
Wie wichtig digitale Innovationen wie künstliche Intelligenz (KI) für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sind, war Themenschwerpunkt der BWI-Exponate und der Eröffnungsrede von Martin Kaloudis, CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung der BWI. Im Alltag tragen die meisten heute ein kleines Stück KI in der Hosentasche mit sich: Das Smartphone verfügt über Spracherkennung, Texterstellungsfunktion, die Kamera erkennt automatisch, ob sich vor der Linse eine Blume oder ein Hund befindet, und auf sozialen Netzwerken vertreiben sich Nutzer*innen die Zeit mit Kamerafiltern. Doch wie können intelligente Systeme auch das Militär bei seinen Aufgaben unterstützen, im Härtefall sogar ohne Verbindung zu Clouddaten und Satelliten?
Als im vergangenen Jahr eine Überflutung das Ahrtal überschwemmt hatte und zahlreiche Menschen ihr Zuhause oder gar ihr Leben verloren, hätte ein einsatzfähiges KI-System womöglich das Schlimmste verhindern können, erklärte Kaloudis. Während es für den Menschen viel Erfahrung und Übung braucht, aus der Luft Objekte zu erkennen und zu identifizieren, noch dazu innerhalb kürzester Zeit, könnte eine mit Daten gefütterte KI dies beinahe in Echtzeit leisten und sogar ein vollständiges Lagebild erstellen. Mit Echtzeit-Bildern und Mustererkennung hätten sich die Hilfskräfte auf andere Aufgaben konzentrieren und sofort handeln können. Für solche und andere Einsatzszenarien testet der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr aktuell die KI-Software „Prometheus“. Sie sammelt autonom Informationen zu krisenhaften Ereignissen wie Naturkatastrophen, Pandemien und Terroranschlägen aus verschiedenen, offen zugänglichen Quellen nahezu in Echtzeit und konstruiert daraus für die Operationszentrale des Kommandos Territoriale Aufgaben (KdoTerrAufg) ein Lagebild.
"Aus meiner Sicht gehört künstliche Intelligenz (KI) definitiv zu den Schlüsseltechnologien der Zukunft."
Martin Kaloudis, CEO der BWIViele Experimente zum selbst ausprobieren
An ihrem Stand auf der AFCEA Fachausstellung zeigte die BWI unter anderem Möglichkeiten und Risiken von KI am Beispiel von Deepfakes auf. Mithilfe von Datenanalyse und Machine Learning können automatisch Bilder und Videos erstellt werden. Mit diesen Tricks entstand 2018 etwa das Video von Ex-US-Präsident Barack Obama, der seinen Nachfolger Donald Trump scheinbar als „dipshit“ (dt. Vollidiot) bezeichnete. Um solche Fakes sowie Falschinformationen zu identifizieren, sind auch im letzten BWI Data Analytics Hackathon zwei Fake-News-Detektoren entstanden, die nun mit der BWI weiterentwickelt werden.
Die BWI Innovationseinheit innoX nimmt sich mit dem Experiment „Digitale Materialbewirtschaftung“ (DigiM) einer zeitintensiven Alltagsaufgabe der Streitkräfte an: Fortlaufend müssen sie Material prüfen, zählen, reinigen und sortieren sowie händisch Bestandsbücher führen. Mit DigiM könnte ein Foto mit dem mobilen Endgerät ausreichen, um das Material zu identifizieren. Die Arbeit der Soldat*innen würden so erheblich erleichtert und die Prozesse effizienter gemacht.
In einem weiteren Showcase durften die Besucher*innen selbst ran und mögliche Anwendungsfälle im Mobility-Bereich vorschlagen. Angehörige der Streifkräfte konnten hier ungefiltertes Nutzer-Feedback zu der Frage, wie Mobilgeräte und Apps in zehn Jahren den Arbeitsalltag der Bundeswehr unterstützen, einreichen. Denkbar wäre zum Beispiel das Zutrittsmanagement mittels biometrischen Daten oder bei Reparaturen Augmented Reality (VR) einzusetzen. Per AR-Brille werden dann Schritt-für-Schritt-Reparaturanleitungen ins Sichtfeld des Users eingeblendet.
Wie vielseitig die Innovationen der BWI sind, konnten geladene Gäste auch an den Exponaten erkennen, die am Vortag der AFCEA bei der BWI innoXperience zur Schau standen. So versuchten Interessierte am Beispiel VR-Ausbildung einmal selbst, im virtuellen Betriebsstoff-Container Werkstoffe zu überprüfen und tauschten sich dabei fachlich aus. Beeindrucken konnte auch die Live-Vorführung des Experiments mit „KI durch Wände sehen“, bei dem für den Menschen ungefährliche Radarstrahlen Personen durch Material hindurch sichtbar machen – sogar in Bewegung. So ließen sich nach einer Naturkatastrophe verschüttete Personen erkennen oder beispielsweise im Gefecht Zivilisten und feindliche Streitkräfte erkennen. Außerdem stellte die BWI einen Lösungsansatz für ein Problem vor, das vor allem Uniformierte kennen: zu kleine oder zu große Dienstkleidung. Mit dem Experiment „Digitale Einkleide“ zeigt BWI innoX, wie sich durch eine KI-gestützte Körpervermessung mittels App schnell und papierlos die passende Kleidergröße ermitteln lässt.
Gemeinsam und zügig KI-Entwicklungen vorantreiben
Bereits am Vorabend diskutierten Angehörige der Bundeswehr, Forschung und Politik darüber, was digitale Innovation eigentlich bedeutet. In seiner Keynote auf der AFCEA Fachausstellung knüpfte Kaloudis an diese Frage an und betonte: „IT und Digitalisierung sind zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor für die Resilienz und die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte geworden.“ Für die weitere technologische Entwicklung sei vor allem der Einsatz von künstlicher Intelligenz unabdingbar. China und die USA hätten das längst erkannt und sind Marktführer – Europa und vor allem Deutschland hingegen würden abgehängt. „Da muss mehr gehen“, forderte Kaloudis, denn: „Wenn wir nicht sofort beginnen, stärker in KI zu investieren, sie auf breiter Front auszuprobieren und marktfähig zu machen, werden wir unsere Chance auf digitale Souveränität bei der Nutzung von KI verspielen.“
Die Entwicklung von KI ist komplex, teuer und sehr zeitaufwendig. Im Alleingang sei diese daher nicht möglich. Deshalb rief Kaloudis dazu auf, gemeinsam daran zu arbeiten, Technologien wie künstliche Intelligenz für die Bundeswehr und insgesamt für die öffentliche Verwaltung nutzbar zu machen, Lösungen zu entwickeln und diese schnell in die Organisationen einzuführen.
Hardware und Datensätze seien zwar limitierende Faktoren, doch diese technischen Herausforderungen ließen sich seitens der Industrie lösen. Die größte Schwierigkeit im Bereich der KI sei das Tempo. „Wir können nicht in Zyklen von 70 Jahren denken, sondern eher in Zyklen von sieben Monaten“, mahnte Kaloudis. Ein umfassendes Echtzeitlagebild in einem Kriegsgeschehen über Sensoren und Effektoren bräuchte ab heute etwa fünf Jahre Entwicklungszeit. Selbst mit Produktverbesserungen einzelner Elemente und der Nutzung bestehender Projekte stehe eine Darstellung verschiedener Datenelemente frühestens in zwei Jahren zur Verfügung. Das zeige Kaloudis: „Wir benötigen kürzere und schnellere Wege und Prozesse, um für unsere Soldatinnen und Soldaten umfassende Lösungen zur Verfügung zu stellen.“
Die Zusammenarbeit von Bundeswehr und BWI zeigt, wie es funktionieren kann. Zahlreiche KI-Lösungen werden bereits für die Streitkräfte erprobt. Auf lange Sicht könnten sie nicht nur ihren jeweiligen Einsatzfeldern dienen, sondern auch als Blaupause für künftige Projekte genutzt und immer weiter ausgebaut werden – auch außerhalb der Bundeswehr. Und es geht auch andersherum, wie eine Technologie aus der Medizin zeigt: In der Krebsdiagnostik erkennt eine KI Krebsgeschwüre und färbt sie auf dem Bildschirm in Echtzeit ein. Im militärischen Kontext kann nach dem gleichen Prinzip gearbeitet werden, um zum Beispiel Fahrzeuge auf Satellitenbildern zu erkennen. Die Fahrzeuge werden ähnlich wie die Krebsgeschwüre pixelweise eingefärbt.
An Ideen fehle es jedenfalls nicht. Um nun noch das Tempo in die Entwicklung zu bringen, plädierte der CEO der BWI in seiner Rede „für strategische Autonomie, Wahlfreiheit in Technologien und damit ein resilienteres, digital souveränes Management auch unseres IT SysBw”. Dies gelte insbesondere für die Schlüsseltechnologie KI.