E-Government in Europa: Aus einer Vision wird eine Mission.© NicoElNino/iStock

E-Government in Europa: Aus einer Vision wird eine Mission.

4 min
15. Mai 2019

Die EU-Staaten sind sich einig: Jedes Land braucht gut funktionierendes E-Government, wenn Europa prosperieren soll. Schon seit mehr als zehn Jahren werden Pläne geschmiedet und Ressourcen bereitgestellt, um digitale Verwaltungsservices europaweit zu etablieren. Aber wo stehen wir heute? Und vor allem: Wo steht Deutschland?

2009 legten EU-Minister den Grundstein für eine „Vision“, die die europäischen Behörden von grundauf verändern sollte: Diese Vision hieß E-Government. Es sollte die Wirtschaft leistungsfähiger, die Bürokratie entschlacken und die Regierungsarbeit effizienter machen.

Rund zehn Jahre später sind nur 58 Prozent der Deutschen mit dem Online-Angebot ihrer Behörden zufrieden und nur 40 Prozent nutzen sie – Tendenz fallend. Ein ernüchterndes Bild. Ist das ambitionierte EU-Projekt etwa gescheitert?

Vier Benchmarks sind entscheidend

Wie es um das europäische E-Government steht, verrät der jährlich erscheinende eGovernment Benchmark von Capgemini. Mithilfe von beispielhaften Lebenssituationen wie Jobsuche, Umzug, Unternehmensgründung oder die Autozulassung, untersucht die Studie, wie gut es um die digitale Transformation der Regierungen steht. Betrachtet werden dabei alle 28 EU-Staaten sowie Island, Norwegen, die Türkei, Serbien, Montenegro und die Schweiz.

Die Ergebnisse werden für vier Benchmarks verwendet:

User Centricity: Fragt, wie sehr Online-Services die Erwartungen von Bürgern erfüllen. Dabei ist unter anderem wichtig, wie schnell und leicht Dienste nutzbar sind.

Transparenz: Hier ist ausschlaggebend, in welchem Umfang Behörden über ihre Aktivitäten informieren. Aber auch, wie gut Bürger auf ihre persönlichen Daten zugreifen und sie anpassen oder sehen können, wer sie nutzt.

Cross-Border Mobility: Die Kategorie stellt fest, ob Services ausreichend für die Nutzung aus dem Ausland zugeschnitten sind.

Key Enablers: Beschreibt, wie umfangreich das Angebot digitaler Dokumente ist, ob es ein Single-Sign-On gibt, wie komfortabel die Authentifizierung gestaltet ist und vieles mehr.

 

E-Government im Ländervergleich

Die aktuelle Studie aus dem letzten Jahr zeigt: Europäische Regierungen bauen ihre Online-Services kontinuierlich aus. Allein zwischen 2013 und 2017 ist die Verfügbarkeit von Leistungen um 13 Punkte auf 85 Prozent gestiegen.

Während in Sachen Transparenz (59 Prozent), Cross-Border Mobility (54 Prozent) und bei den Key Enablers (54 Prozent) noch Luft nach oben besteht, punkten die europäischen Dienste im Bereich der User Centricity: Die Benutzerfreundlichkeit liegt hier bei 82 Prozent.

Entscheidend dafür ist, dass immer mehr Services auf mobilen Endgeräten verfügbar sind – Bürger können Anträge so ganz einfach von unterwegs stellen. Auch die verbesserte Hilfeleistung durch Online-Chats steigern den Wert. Außerdem helfen innovative Online-Portale: Estland hat beispielsweise ein Portal geschaffen, das sich speziell auf Kraftfahrzeuge konzentriert – vom Führerschein-Antrag über Kfz-Formulare bis hin zu Informationen rund um den Nahverkehr findet der Nutzer alles an einem Ort.

Estland kann neben Malta, Litauen, Dänemark und Österreich die besten E-Government-Werte vorweisen. Die Nationen erreichen in allen Lebensbereichen sehr gute Werte.

 

Deutschland bleibt hinter seinen Möglichkeiten

Aber wo liegt Deutschland bei alldem? Vergleicht man die Benchmarks, landen wir auf dem zwölften Platz und damit im Mittelfeld vor Ungarn, Polen und Tschechien. Die Werte im Überblick: User Centricity 87 Prozent, Transparenz 61 Prozent, Cross-Border Mobility 37 Prozent und Key Enablers 52 Prozent.

Große Defizite bestehen vor allem in der Durchdringung („Penetration“) des Service-Angebots. Während in Deutschland, wie bereits erwähnt, nur rund 40 Prozent entsprechende Online-Dienste verwenden, sind es in Schweden, Finnland oder Estland über 80 Prozent. Das reicht lediglich für Rang 23 im Europavergleich.

Um diesen Missstand zu beheben, gibt es drei Stellschrauben: mehr Dokumente online verfügbar machen, die Bürger von den Vorteilen des E-Government überzeugen oder die Automation vorantreiben, sodass viele Anträge gar nicht mehr aktiv eingereicht werden müssen. Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn bei Ausstellung der Geburtsurkunde automatisch der Antrag auf Kindergeld angelegt wird.

Besonders interessant: Die Studie stellt generell einen Zusammenhang zwischen digitaler Kompetenz und Penetration fest. Deutschland bricht aber aus dieser Korrelation aus. Die digitale Kompetenz liegt hierzulande mit 63 Prozent im oberen europäischen Durchschnitt. Folglich sollte die Penetration eigentlich um rund zehn Prozent höher liegen, so die Studie. Ein weiteres Zeichen dafür, dass besser über die Services aufgeklärt werden muss?

Kombiniert mit dem durchschnittlichen Digitalisierungsgrad Deutschlands befindet sich die Bundesrepublik in einem immer noch stark ausbaufähigen E-Government-Level. Die Studie bezeichnet das als „Nicht-konsolodiertes eGov“, während Länder wie Dänemark oder Finnland im Bereich „fruchtbares eGov“ rangieren.

 

Europa auf Kurs

Trotz der mittelmäßigen Ergebnisse Deutschlands zeigt sich Marc Reinhardt, Leiter Public Sector Capgemini zuversichtlich: „Die Umsetzung des Portalverbunds und des Digitalisierungsprogramms des IT-Planungsrates lassen erwarten, dass sich die beginnende Aufholjagd gegenüber führenden Staaten in den Ergebnissen der kommenden Jahre widerspiegeln wird.“

Es scheint, als sei Europa auf auf Kurs, um die „Vision“ E-Government zu erfüllen. Die Ambition jedenfalls ist ungebrochen. Erst 2017 erneuerten EU-Vertreter mit der „E-Government Declaration“ die Malmö-Deklaration aus dem Jahr 2009: „Hochwertige und User-zentrierte Digital-Services für Bürger und Unternehmen“ sollen entstehen – reibungslos nutzbar, auch über Ländergrenzen hinweg.

 

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